Ohne unbezahlte Care-Arbeit geht nichts

Ohne Unbezahlte Care-Arbeit geht nichts

Hans Baumann 31. März 2023, erschienen in work.

In den letzten 25 Jahren ist in der Schweiz das Volumen der unbezahlten Arbeit viel stärker angewachsen als ­jenes der bezahlten Arbeit. Unbezahlte Arbeit ist zu einem grossen Teil Haus- und Betreuungsarbeit, die vor allem von Frauen geleistet wird. Seit 1997 berechnet das Bundesamt für Statistik (BFS) den Wert der unbezahlten ­Arbeit anhand der Lohnkosten ähnlicher T­ätigkeiten im Erwerbssektor. 2020 betrug der Wert der unbezahlten Arbeit stattliche 434 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandprodukt (BIP) – also alle bezahlten und zum Marktwert berechneten Güter- und Dienstleistungen – erreichte im selben Jahr 695 Milliarden Franken.

PRODUKTIVITÄT STEIGT. Seit 1997 stieg das BIP preisbereinigt, das heisst unter Berücksichtigung der Inflation, um rund 47 Prozent. Das BIP wächst nicht nur, weil sich das ­Arbeitsvolumen erhöht, sondern auch, weil pro Arbeitsstunde immer mehr geleistet wird. Oder in anderen Worten: weil die Produktivität steigt. Hier gibt es erhebliche Unterschiede: In der Schweiz stieg die Produktivität pro bezahlte Arbeitsstunde seit 1997 um über 27 Prozent. Das ist mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern und eine wichtige Basis für den Wohlstand. Die realen Löhne konnten da mit einem Zuwachs von gut 15 Prozent allerdings nicht mithalten. Und werden die Stunden hinzugerechnet, die für unbezahlte Arbeit aufgewendet werden, ist die Produktivität nur um 19,5 Prozent gewachsen.

NEUE SICHT NÖTIG. Die Ökonomin ­Mascha Madörin hat sich schon vor Jahren mit dem Phänomen des «Auseinanderdriftens der Produktivitäten» auseinandergesetzt und aufgezeigt, dass sich die Produktivität je nach Branche sehr unterschiedlich entwickelt. So veränderte der rasante technische Fortschritt den Industriesektor erheblich, während eine derartige ­Rationalisierung der Arbeit in stark personenbezogenen Branchen – wie der Betreuung und der Pflege – viel weniger möglich und oft auch nicht erstrebenswert ist. Es braucht deshalb eine neue Sicht auf die Ökonomie jenseits der traditionellen Begriffe von Wachstum und Produktivität: Eine ­Tätigkeit alleine daran zu messen, wie stark sie sich rationalisieren lässt, ist falsch und ignoriert die immense Bedeutung der unbezahlten und bezahlten Care-Arbeit. Schliesslich wäre ohne sie der Fortbestand unserer Gesellschaft nicht möglich. Care-Arbeit ist also auch für den produktiven Sektor unabdingbar – und für die Wohlstandsmehrung sowieso.

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