Ökologie und Gewerkschaften: Wie vor 35 Jahren alles begann.
Ökologie und Gewerkschaften: Wie vor 35 Jahren alles begann.
Schweizer Gewerkschaften spielten bezüglich der Ökologiefrage früher eine Art Vorreiterrolle. 1983 versuchte die damalige Gewerkschaft Bau und Holz GBH als erste Arbeitnehmerorganisation, die Forderung nach Beschäftigungssicherung mit ökologischen Anliegen zu verbinden. Das war nicht nur in der Schweiz sondern auch im internationalen Rahmen eine Pionierleistung. Heute, angesichts der Klimakatastrophe und der zahnlosen CO2-Politik, ist dies wieder hochaktuell.
Wirtschaftskrise, Ölpreisschock und Kaiseraugst: Nachdem sich die Schweizer Wirtschaft von der grossen Wirtschaftskrise 1975/76 etwas erholt hatte, folgten 1982/83 wiederum zwei Rezessionsjahre, die allein in der Bauwirtschaft erneut rund 20‘000 Arbeitsplätze kostete. In breiten Kreisen der Bevölkerung wuchs gleichzeitig das Bewusstsein um die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen, ausgelöst durch den Ölpreisschock und den Bericht des „Club of Rome“ von 1973 sowie dem bis anhin schwersten Reaktorunfall im Atomreaktor von Harrisburg (Three Miles Island, USA 1979). Grosse Teile der Linken in der Schweiz solidarisierte sich mit den Besetzern des geplanten Atomkraftwerks Kaiseraugst und kritisierten das „grenzenlose Wachstum“ und die „Verbetonisierung der Schweiz“. Die Gewerkschaften taten sich zunächst schwer mit diesem Umdenken. Kraftwerks- und Autobahnbau wurde lang ausschliesslich mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Sicherung des Wohlstands verbunden. Aber auch in den Gewerkschaften tat sich in diesen Jahren einiges. Mit der Ausdehnung des Organisationsbereiches auf die Angestellten und dem zunehmenden Einfluss der Neuen Linken wurden neue Ideen und neue Forderungen in die gewerkschaftlichen Diskussionen eingebracht. Neben ökologischen Fragen ging es dabei auch darum, qualitative Aspekte der Arbeit und darunter vor allem die Arbeitszeitfrage wieder in den Vordergrund zu rücken. Dies löste zum Teil hitzige Diskussionen aus.
Das Programm von 1983: Die damalige Gewerkschaft Bau und Holz, GBH, eine Vor- gängergewerkschaft der heutigen Gewerkschaft UNIA, hatte sich unter dem Eindruck der Umweltbewegung und des Unfalls im Atomkraftwerk bei Harrisburg bereits 1982 gegen den Bau zusätzlicher Atomkraftwerke ausgesprochen und als Alternative gefordert, das vorhandene Energiesparpotential durch neue Technologien und Gebäudesanierungen auszuschöpfen. Dies war damals alles andere als selbstverständlich. Denn am Bau und Betrieb neuer Kraftwerke hingen Zehntausende von Arbeitsplätzen. Vor allem die damalige Gewerkschaft der Maschinen- und Metallindustrie SMUV fuhr eine viel konservativere Linie und hielt lange an der Atomkraft als Königsweg fest.
Die Gewerkschaftsleitung der GBH beauftragte 1983 ein Berner Planungsbüro damit, das mögliche Bauvolumen in der Schweiz aufzuzeigen, das gleichzeitig beschäftigungswirksam aber auch ökologisch und sozial vertretbar und sinnvoll ist. Die beiden grossen Schwerpunkte im Programm waren die Energiesparmassnahmen, vor allem Wärmedämmung an Gebäuden und Solaranlagen und die Förderung des öffentlichen Verkehrs.
Allein für diese beiden Bereiche wurde ein Arbeitsvolumen von rund 15‘000 Arbeitsplätzen während 20 Jahren errechnet. So konnte aufgezeigt werden, dass mit Investitionen in den ökologischen Umbau viel mehr und qualitativ bessere Arbeitsplätze geschaffen werden können als beim Bau und Betrieb von Atomkraftwerken. Das Programm enthielt aber auch die Forderung nach Investitionen in landwirtschaftliche Bodenverbesserungen, Lärmschutz, Radwegbau, Alterseinrichtungen etc. Einige der vorgeschlagenen Massnahmen wurden später realisiert, zum Beispiel mit der Bahn 2000 und den Alptransit-Verbindungen. Andere Massnahmen, wie die massive Förderung der Solarenergie, stehen heute im Zuge des Klimawandels und der nötigen Energiewende erneut zur Diskussion.
Arbeitszeitverkürzung und vorzeitige Pensionierung: Das Programm von 1983 zeigte nicht nur die Beschäftigungswirkung von Umweltschutz- und Energiesparmassnahmen auf. Unter dem Eindruck der starken Produktivitätszuwächse in der Schweizer Wirtschaft aber auch der zunehmenden Kämpfe um die 35-Stundenwoche im Ausland, zunächst in der deutschen Metallindustrie und später auch in Frankreich, wurde auch die Beschäftigungswirkung einer Arbeitszeitverkürzung erfasst. Damals wurde im Bau im Jahresdurchschnitt noch über 45 Stunden gearbeitet, eine Verkürzung auf 40 Stunden ergab einen Beschäftigungseffekt von über 20‘000 Arbeitsplätzen. Auch die vorzeitige Pensionierung der Bauarbeiter wurde damals schon unter dem Aspekt der Beschäftigungswirkung gefordert. Auch hier wurde die Ökologiefrage angeschnitten: Produktivitätsfortschritte vermehrt für kürzere Wochen- und Lebensarbeitszeit anstatt für Lohnzuwächse zu verwenden, bedeutet auch weniger Konsum, weniger Umweltbelastung und mehr Lebensqualität.
Tatsächlich wurde in den kommenden Jahren im Baugewerbe wie auch in anderen Branchen die Arbeitszeit von 45 auf rund 40 Stunden verkürzt und das Pensionsalter wurde 2003 auf dem Bau nach intensiven Arbeitskämpfen auf 60 Jahre herabgesetzt. Letztere Kampagne wurde dann allerdings nicht in erster Linie mit dem Argument der Beschäftigungssicherung geführt, sondern als notwendige Antwort auf die massive Belastung der Bauarbeiter und den frühzeitigen körperlichen Verschleiss durch die Bauarbeit.
Die Programme von 1991 und 1995: Das Programm „Bauen und Bauarbeit 2000“ der GBH von 1991 enthielt dann neben einer Neueinschätzung des Beschäftigungseffekts von ökologisch sinnvollen Investitionen einen grösseren Teil zu den Themen Migration, Gesundheitsschutz, Arbeitsbelastung und Einkommenssituation auf dem Bau. Es diente auch der Vorbereitung der Verhandlungen mit den Arbeitgebern.
Von der Nachfolgeorganisati- on der GBH, der Gewerkschaft Bau und Industrie GBI wurde 1995 die Studie „Ein ökologisch sinnvolles Beschäftigungsprogramm für die Schweiz“ in Auftrag gegeben. Sie stellte unter dem Eindruck der erneut krisenhaften Entwicklung der Schweizer Wirtschaft die Sicherung der Arbeitsplätze durch sinnvolle Investitionen und Förderprogramme in den Vordergrund, wobei zwei Drittel der Mittel in den Schwerpunktbereich Energie fliessen und angesichts der be- ginnenden Diskussion über den Klimawandel einen Kurswechsel in Richtung „zweite solare Zivi- lisation“ einleiten sollten. Die Studie bezog sich entsprechend dem erweiterten Organisations- bereich der GBI auf die Gesamtwirtschaft und nicht nur auf den Sektor Bau.
Nachhaltige Wirkung in- und ausserhalb der Gewerkschaft Für die Diskussion innerhalb der Gewerkschaften war das Programm von 1983 wichtig, da es aufzeigen konnte, dass Beschäftigungssicherung und eine ökologische, nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft nicht unbedingt Gegensätze, sondern miteinander vereinbar sind. Nach der Jahrtausendwende gehörte es dann fast zum guten Ton, eine grüne Wirtschaft zu propagieren, nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch – teilweise unkritisch – seitens diverser Parteien und Regierungen.
Das Programm von 1983 und die folgenden waren aber auch wichtig für die Diskussion innerhalb der Linken. Staatliche Investitionsprogramme zur Schaffung von Arbeitsplätzen wurden von links und von der Frauenbewegung lang und teilweise zu Recht dafür kritisiert, dass sie einseitig nicht nur die Betonierung der Schweiz fördern, sondern auch vor allem die Arbeitsplätze der Männer sichern würden. Die Studie von 1995 nahm diese Diskussion auf und hatte dann auch Einfluss auf die zwei Investitionsprogramme des Bundes in den 1990er Jahren, welche die steigende Arbeitslosigkeit bekämpfen sollten.
Diese „keynesianischen“ Programme wurden damals gegen den Widerstand neoliberaler Kreise durchgesetzt, die deren Nutzen bezweifelten. Sie beinhalteten ausschliesslich die Sanierung und nicht den Neubau von Gebäuden und umfassten auch Sektoren mit einer hohen Frauenbeschäftigung, wie den Bildungssektor und die Kinderbetreuung.
All dies müsste heute in Hinblick auf eine klimaneutrale Wirtschaft und carbonfreie Produktion wieder aufgegriffen werden. Wie lassen sich eine neue Klimapolitik verbinden mit sozialer Gerechtigkeit, mit einem Ausbau des Care-Sektors, mit einer gerechteren Verteilung des Wohlstandes in der Welt? Um zu vermitteln, dass dies möglich ist und entsprechende Perspektiven aufzuzeigen, braucht es eine starke Bewegung, die von der Klimabewegung inspiriert ist, aber weit über sie hinausgehen muss. Dabei können und sollen Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen. So wie sie es in der Vergangenheit getan haben.
Dieser Text erschien in Denknezt-Jahrbuch 2019